ALSFELD (jal). Wie begeht man einen Feiertag richtig? Bei Festen wie Weihnachten oder dem 1. Mai ist die Antwort einfach. Man trifft sich mit Freunden und Familie, isst gemeinsam, geht vielleicht später auf eine Party. Doch was ist, wenn es ein stiller Feiertag ist? An solchen Tagen gelten gewisse Regeln – und um die gibt es jetzt in Alsfeld Streit: Weil zwei Märkte für gebrauchte Kleidungsstücke und ein Flohmarkt nicht wie geplant stattfinden können.
Der Mann, der zwei dieser Märkte ausrichten möchte, heißt Torsten Schneider. Er ist der Betreiber der Alsfelder Stadthalle – und Inhaber von Oberhessen-live. Schneider hatte vor, am 19. und 26. November „Weiberschätze“ und „Herrensache“ auszurichten – zwei Märkte für gebrauchte Frauen- und Männerklamotten. Über 200, größtenteils private Standbetreiber sollen sich angemeldet haben, sagt Schneider.
Die Vorbereitungen für die beiden Märkte seien bereits in vollem Gange gewesen, als er Anfang Oktober plötzlich Post von der Stadt Alsfeld erhielt. Im Anhang der E-Mail, die OL vorliegt, befand sich eine andere E-Mail vom Amt für Aufsichts- und Ordnungsangelegenheiten des Vogelsbergkreises – der Aufsichtsbehörde des Kreises für die Stadt, wenn es um Genehmigungen von Veranstaltungen und dergleichen geht.
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Ärgert sich über den Kreis und die Stadt: Unternehmer Torsten Schneider
In der Mail vom Kreis hieß es, dass die Stadt dem Veranstalter klar machen sollte, dass diese Märkte, für die im Internet bereits geworben würde, nicht stattfinden könnten, da sie an zwei stillen Feiertagen geplant seien und „dem Charakter des jeweiligen Feiertags zuwiderlaufen.“ Der 19. November ist in diesem Jahr der Volkstrauertag, der 26. November Totensonntag. Weiterhin drohte der Kreis der Stadt Alsfeld mit „Fachaufsichtlichen Maßnahmen“, sollte sie dennoch eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Solche Maßnahmen können nach Auskunft der Stadt ein Ordnungsgeld gegen den Veranstalter und das Aufheben der Sondergenehmigung sein.
Das sagt das Gesetz
Im Hessischen Feiertagsgesetz heißt es zu den beiden Tagen: “ Am Karfreitag von 0 Uhr an, am Volkstrauertag und Totensonntag von 4 Uhr an sind unbeschadet der Bestimmungen des § 7 verboten
+ öffentliche Tanzveranstaltungen;
+ öffentliche sportliche Veranstaltungen gewerblicher Art;
+ öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge und Umzüge aller Art, wenn sie nicht den diesen Feiertagen entsprechenden ernsten Charakter tragen;
+ alle sonstigen öffentlichen Veranstaltungen, wenn sie nicht der Würdigung der Feiertage, der seelischen Erhebung oder einem überwiegenden Interesse der Kunst, Wissenschaft, Volksbildung oder Politik dienen.“
„Ich war ziemlich baff, als ich das las“, sagt Schneider auf die E-Mail des Kreises bezogen. Als Organisator aller möglichen Veranstaltungen kenne er zwar das Tanzverbot am Karfreitag und anderen Feiertagen, „dass es eine solche Regelung aber auch am Volkstrauertag und am Totensonntag gibt, war mir nicht bewusst“, gibt er offen zu – und schiebt nach: „Überall um unsere Region ist an diesen Tagen etwas los, dabei kann man unmöglich auf die Idee kommen, dass es an diesen Tagen ein Tanz- oder gar generelles Veranstaltungsverbot gibt“.
Wir leben im selben Bundesland. Da sollten doch für alle die selben Gesetze gelten.Torsten Schneider, Betreiber der Alsfelder Stadthalle
In der Tat finden sich im Netz einige Ankündigungen für Veranstaltungen am Volkstrauertag, die nichts mit dem Gedenken an gefallene Soldaten zu tun haben. So ist in Frankfurt beispielsweise in der Jahrhunderthalle ein Antik- und Edeltrödelmarkt angesetzt. Und in Wiesbaden ist für den 19. November mit „Weiberkram“ exakt die selbe Art von Veranstaltung geplant, die Schneider auch in Alsfeld abhalten wollte: Ein Flohmarkt für Mädels- und Frauenklamotten.
„Ich frage mich wirklich, wie das sein kann. Wir leben im selben Bundesland. Da sollten doch für alle die selben Gesetze gelten“, sagt Schneider. Auf Anfrage von Oberhessen-live teilt die Stadt Wiesbaden mit, warum sie anders als die Behörden im Vogelsberg nichts gegen den geplanten Markt unternommen hat.
Zu Beginn stellt die Stadt klar, dass es sich bei jeder Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung handele – und das im hessischen Feiertagsgesetz den Behörden „ein gewisser Spielraum […] eingeräumt“ werde, ob eine Befreiung von Veranstaltungsverboten gewehrt werden könne oder nicht.
Bei der Entscheidung im konkreten Fall hätten eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle gespielt, heißt es in dem Statement. „Zum einen ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass an diesem Tag in Wiesbaden auch viele Veranstaltungen stattfinden werden, welche nicht genehmigungspflichtig sind, so zum Beispiel Kinovorstellungen, eine Veranstaltung der Verbraucherzentrale, eine Baustellenführung der HSK und vieles mehr.“ Des Weiteren heißt es, finde der Markt in einer Halle statt, die nicht in der Nähe einer Kirche oder eines Friedhofs liege, damit scheine eine Störung von Gottesdiensten durch den Markt ausgeschlossen. Das sei auch bei der Stadthalle in Alsfeld der Fall, argumentiert Schneider.
Kreissprecher: „Wir sind nicht im SM-Studio“
Mit der Aussage der Stadt Wiesbaden konfrontiert, sagte Kreissprecher Erich Ruhl-Bady, man kommentiere nicht die Entscheidungen anderer Behörden. Doch warum legt der Vogelsbergkreis die Gesetze strenger aus als andere Städte und Kommunen in Hessen? „Es geht nicht um streng oder nicht, wir sind nicht im SM-Studio“, sagte er dazu. Dem Kreis gehe es lediglich darum, gesetzestreu zu handeln und den Geist des Gesetzes, der ein „schützenswertes Gut“ sei, zu bewahren.
Auch Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule betrachtet die Entscheidung des Kreises, die Stadt Alsfeld aufzufordern eine Sondergenehmigung nicht zu erteilen, als juristisch gerechtfertigt. „Eine Verwaltung bindet sich durch ihre früheren Entscheidungen selbst für die Zukunft“, erklärt der Bürgermeister. Heißt im Klartext: Durch das Handeln einer Behörde entsteht in gewisser Weise eine Art Gewohnheitsrecht. Wenn sie – wie beim Kreis in der Vergangenheit der Fall – in bestimmten Bereichen wenig Ausnahmen zugelassen hat, sollte sie auch in Zukunft streng sein, um alle Antragssteller gleich zu behandeln.
Ihn ärgere es aber dennoch „kolossal“, dass es durch eine unterschiedliche Anwendung der Gesetze dazu komme, dass Veranstaltungen im Vogelsbergkreis untersagt würden, die anderenorts möglich seien. Ihm persönlich lägen der Totensonntag wie der Volkstrauertag am Herzen. Dennoch glaube er nicht, dass man Ladenöffnungszeiten Feiertage betreffend überhaupt per Gesetz regeln müsse. Doch wenn es Regeln gebe, müssten sie einheitlich sein. „Die Durchführungsvorschriften für das entsprechende Gesetz müssen eindeutig sein. Es muss klar sein, wann Sondergenehmigungen erlaubt sind und wann nicht“, sagte Paule. Unberührt davon wolle er, dass die beiden Feiertage den Menschen im Gedächtnis blieben.
„Das ist doch genau der Punkt“, sagt Torsten Schneider. „Viele Menschen wissen gar nicht mehr, für was diese Feiertage überhaupt da sind. Sie haben frei, Familien könnten zusammen etwas unternehmen – aber sie müssen zuhause rumsitzen, weil durch ein Gesetz Feiertage geschützt werden, die niemand mehr begeht“, sagt der Unternehmer. Wenn andere Städte damit liberaler umgingen, müsse sich niemand mehr wundern, dass Menschen nach Frankfurt führen, um etwas zu erleben und dazu klagen würden, dass in der heimischen Region nichts los sei.
![So sah es 2016 aus: "Weiberschätze" in der Alsfelder Stadthalle. Foto: Archiv/ol]()
So sah es 2016 aus: „Weiberschätze“ in der Alsfelder Stadthalle. Foto: Archiv/ol
Schneider bot den Behörden an, an beiden Märkten jeweils für die Kriegsgräberfürsorge und ein Kinderhospiz zu sammeln, um auf den Sinn der zwei Feiertage aufmerksam zu machen. Doch die Stadt lehnte ab. „Alleine eine Spendensammlung ist nicht ausreichend, den Charakter der Veranstaltung so zu verändern, dass sie der Würde dieser stillen Feiertage entspricht“, heißt es in einer Mail an den Stadthallenbetreiber.
Peter Remy, Pfarrer der Evangelischen Alsfelder Kirchengemeinde, findet die Entscheidung der Behörden richtig, die Märkte trotz des Angebots der Spenden zu verbieten. „Unablässige Geschäftigkeit wird nicht dadurch besser, dass sie moralisch motiviert ist“, sagt er. Er finde stille Feiertage besonders „in unserer Zeit zeitgemäß“ und zitiert den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, der im 19. Jahrhundert gesagt haben soll: „Der heutige Zustand der Welt, das ganze Leben ist krank. Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte, was rätst du? – ich würde antworten: schaffe Schweigen! Bringe die Menschen zum Schweigen.“
Landrat Manfred Görig sieht es ähnlich. Auf Nachfrage im Kreishaus, ob er sich in Wiesbaden für eine Lockerung des Gesetzes stark machen wolle, heißt es schriftlich: „Der Landrat und der Erste Kreisbeigeordnete halten die gesetzliche Regelung für die stillen Feiertage nach wie vor für richtig. Eine rein wirtschaftsorientierte Ausrichtung wäre den Anlässen der Feiertage nicht angemessen.“
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Erster Kreisbeigeordneter Dr. Jens Mischak lässt sich unter den Augen von Landrat Manfred Görig den Blutzucker am Stand des Kreiskrankenhauses Alsfeld messen. Foto: Kierblewski
Christian Schmidt, Chef der Alsfelder Hessenhalle, hält dagegen. „Ich finde diese Feiertage sind nicht mehr zeitgemäß“, sagt er gegenüber Oberhessen-live – und plädiert für mehr Toleranz. Die Menschen, die an den übrigen Tagen arbeiten müssten, könnten sich nicht entspannen, wenn Märkte oder andere Veranstaltungen an solchen Tagen verboten würden. „Dass keine Musik gespielt und keine Fröhlichkeit aufkommen soll, das kann ich ja noch verstehen“, sagt er. „Aber nicht, dass ganze Märkte abgesagt werden.“ Zum Totensonntag sagt er: „Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt nicht nur Christen in Deutschland, sondern auch Muslime, die vielleicht nicht mit dem Feiertag verbunden sind. Und gerade deshalb müssen wir weltoffener sein, und auch den Menschen an diesem Tag etwas ermöglichen.“ Natürlich, so fügt er an, gehe es ihm an solchen Tagen aber auch ums Geschäft.
2016 gelang es Schmidt tatsächlich, vom Kreis eine Ausnahmegenehmigung für eine Veranstaltung am Volkstrauertag zu bekommen. Der Sonntag der großen Herbstmesse fiel auf diesen Feiertag. „Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir haben diese Genehmigung nicht bloß bekommen, weil wir die Hessenhalle sind. Wir mussten viel verhandeln und Auflagen erfüllen – zum Beispiel keine Musik spielen“, sagt Schmidt, der die Hessenhallen-AG seit 2015 leitet. Die Vorplanungen für die Messe seien noch von der alten Führung der Hessenhalle in die Wege geleitet worden, die Behörden hätten schließlich auf die Feiertagsproblematik hingewiesen.
Ausnahme war wirklich eine Ausnahme
Auf Anfrage stellt der Kreis klar, dass die Ausnahme für die Hessenhalle 2016 wirklich eine Ausnahme war. Sie sei nur erfolgt, weil die Hessenhalle sonst die Großveranstaltung hätte verlegen müssen und aufgrund der schon fortgeschrittenen Planung einen „erwartbar sehr hohen Schaden“ erlitten hätte. „Die beiden Vorgänge (Herbstmesse 2016 und der Wunsch von Herrn Schneider 2017) sind nicht vergleichbar. Aus diesem einmaligen Vorgang lässt sich kein Anspruch herleiten, die Entscheidung aus 2016 zu wiederholen.“
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Hessenhallenchef Christian Schmidt bei der Eröffnung der Herbstmesse 2016. Foto: Archiv/kiri
Auch Hessenhallen-Chef Christian Schmidt bestätigt, dass er als Betreiber der größten Veranstaltungshalle in der Region kein Abo auf Sondergenehmigungen hat. So müsse beispielsweise ein regelmäßiger Nachtflohmarkt, der immer von Samstag auf Sonntag stattfindet, dieses Jahr wie einige Jahre zuvor von einem Freitag auf einen Samstag öffnen, weil der Sonntag der Volkstrauertag sei.
Und Torsten Schneider? Auch bei ihm waren die Planungen für die beiden Märkte schon in vollem Gang. Da ihm eine Klage zu risikoreich war, entschied er sich, die zwei Märkte zu verlegen. „Weiberschätze“ soll an diesem Sonntag, dem 12. November stattfinden, „Herrensache“ ist für den 3. Dezember geplant.
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Der Beitrag Ist ein Flohmarkt am Volkstrauertag okay? erschien zuerst auf Oberhessen-Live.