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Oh, wie schön ist der Vogelsberg!

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GLOSSE|VOGELSBERG. Der Vogelsberg macht Werbung dafür, im Vogelsberg zu wohnen – und zwar: im Vogelsberg. Das klingt wie ein schlechter Witz der Kreisverwaltung, ist aber in Wirklichkeit nur der Anfang eines genialen Geheimplans, den OL hier exklusiv enthüllt. Eine Glosse von Juri Auel.

Sprüche wie „Freiraum zum Wohlfühlen“ und „Freiraum für Familie und Beruf“ zieren in schwarzen Buchstaben die überdimensional großen Plakate an den Straßen – und das immerhin 14 Mal im Landkreis. In Alsfeld, Homberg, Lauterbach, Mücke, Romrod, Schlitz und Schotten. Der heimischen Bevölkerung sollen sie mehr Selbstvertrauen geben – und ganz nebenbei auch noch potentielle Neubürger anwerben, die vielleicht auf ihrem Weg zur Arbeit durch die hübsche Vulkanlandschaft pendeln.

Wohnraum in städtischen Regionen ist schließlich knapp und für viele Menschen – gerade für junge Familien – oft nicht mehr bezahlbar. Im Vogelsberg, das ist die Botschaft, ist das natürlich anders. Hier bekommt man alles noch gut hessisch und spottbillig für’n Appel und’n Ei.

Durch die bunten und gut platzierten Plakate fühlt mich sich schon fast genötigt, auf die dort so poetisch beworbene Internetseite zu klicken und sich nach einem Bauplatz oder freien Wohnungen umzuschauen. Doch wer das tut, der ist erst einmal verwirrt. Denn wie er sehen kann, sieht er nichts. Halbvollständige Sätze erwarten den Besucher. Und solch tiefgründige Weisheiten wie der Spruch, dass sich Zuhause die Seele nährt. Aha!

Man lasse die Poesie auf sich wirken

Man lasse nur die Poesie auf sich wirken, die von der Mannigfaltigkeit von Sätzen wie diesem hier ausgeht: „Zügig und ökologisch bauen, kaufen, mieten. Nirgendwo geht das reibungsloser als im Vogelsberg. Bauplatz vorhanden. In bester Lage“. Oder wie wäre es mit dem? „Und wie schön ist es, wenn sich mittelalterliches Fachwerk mit dem Chic der Urbanität paart. Und mit Platz.“ Nicht zu vergessen: „Der Vogelsberg ist eine offene Einladung. Ziel ist das Erreichen des Sehnsuchtsorts.“ Schön, gell?

Wer jetzt denkt, im Kreishaus seien sie alle besoffen und sich dazu fragt, warum man auf der Seite nicht einfach Anzeigen für Bauplätze oder freistehende Wohnungen findet, der hat nichts von modernem Marketing begriffen. Weniger ist da mehr. Sinnzusammenhang, Informationen und Fakten verwirren den Konsumenten nur. Das Entertainment steht in Vordergrund. Der Kunde muss nur das Gefühl haben, von der Aktion zu profitieren.

Nur der Anfang eines genialen Geheimplans

Das hat man auch im Landratsamt erkannt. Deswegen ist die Plakataktion für 6.500 Euro auch nur der Auftakt zu einer viel größeren Imagekampagne, die man sich in Lauterbach ausgedacht hat.

So plant der Kreis beispielsweise eine kundenbindende Aktion in der Notaufnahme des Alsfelder Kreiskrankenhauses. Jeder Patient, der gerade noch einen Stift halten kann, muss bei einer Umfrage angeben, warum er sich dafür entschieden hat, gerade im heimischen Vogelsberg die klaffende Platzwunde nähen oder den Herzinfarkt diagnostizieren zu lassen. Wer die OP überlebt, bekommt ein Erinnerungsfoto mit Landrat Manfred Görig vor einer blassen Wand neben einem Pappaufsteller mit dem Logo des Landkreises – so etwas bekommen sonst nur langjährige Mitarbeiter des Landratsamts, wenn sie ihre Ehrenurkunde überreicht bekommen.

Früher sagte man spöttisch „Deutsche, kauft deutsche Bananen!“ Der Vogelsberg macht daraus Ernst. Um die heimische Wirtschaft zu fördern, unterstützt der Kreis jeden Bauern, der ab sofort die gelbe Frucht auf den eigenen Äckern anbaut. Und wenn das nicht geht, dann eben Kokosnüsse. Hauptsache irgendetwas, das gut auf den neuen Plakaten aussieht, die später in jedem Vogelsberger Dorf stehen und das neue „Super-Food“ Made im Vogelsberg anpreisen sollen.

Aber ohne Nachhaltigkeit geht natürlich nichts. Das weiß man auch im Kreishaus. Darum gilt ab Frühjahr 2019: Wer Opa oder Oma auf einem Friedhof im Vogelsberg beerdigen lässt und somit dazu beiträgt, dass die Vulkanerde hübsch fruchtbar bleibt, bekommt vom Kreis einen Bauplatz geschenkt. Mit einer kleinen Bedingung: Er darf ihn die nächsten 50 Jahre nicht an einen Schwälmer verkaufen. Denn neue Kreisbewohner sind zwar schön und gut – aber das heißt ja nicht, dass man gleich den guten Geschmack über Bord schmeißen und Jeden von überall her im schönen Vogelsberg willkommen heißen muss.

Anmerkung der Redaktion: Eine Glosse ist ein etwas aus der Mode gekommenes, journalistisches Stilmittel. Es zeichnet sich durch satirischen, zugespitzten Charakter mit teils polemischen Zügen aus, hat aber zumeist eine wahre Nachricht als Kern – so wie hier der Fall.

Der Beitrag Oh, wie schön ist der Vogelsberg! erschien zuerst auf Oberhessen-Live.


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